Faktencheck: Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Windpark St. Jürgensland)

Sind Sie auch wütend, weil ein Windpark im St. Jürgensland bei Lilienthal nahe Bremen soll gebaut werden soll?

Vielleicht haben Sie ein paar Plakate der Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen gesehen, die sich gegen einen Windpark einsetzen, oder Sie haben in der Zeitung davon gelesen und denken sich jetzt: Alles ganz schlimm!

Nun, dann ist die Chance groß, dass sie einer populistischen Kampagne aufgesessen sind, die Ihre Emotionen mit Fake News und nicht haltbaren Übertreibungen triggern soll, um so Stimmung gegen die Energiewende zu machen.

An dieser Stelle soll über die Argumente und Hintergründe der Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm) aufgeklärt werden, damit Sie sich ein objektives Bild über die Errichtung des Windparks und über Windenergie im Allgemeinen machen können.

Titelbild: bedneyimages via Freepik

Behauptung 1 - Windräder verursachen viel Feinstaub:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Weil die Windräder pausenloser Erosion durch Wind, Regen, Hagel und Schnee ausgesetzt sind, kommt es zum permanenten Abtrag der Schutzversiegelung von Masten und Rotoren; zudem werden die Klingenblätter der u.a. aus Polyester gefertigten Rotoren verschlissen. Die Umweltbelastung durch diese schleichenden Gebrauchs- und Abnutzungserscheinungen sind immens: Bei einer Windenergieanlage mit 4 Megawatt fallen so allein 180 Kilogramm Feinstaub pro Jahr an."

Kurze Antwort:

Die Behauptung ist falsch und stark übertrieben. Als Quelle beruft die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen sich hierbei auf den für die Verbreitung von Fake News, Verschwörungstheorien und rechtsextremen Inhalten bekannten Fernsehsender "Auf1".

Falsche Annahmen:

  • Permanenter Abtrag der Schutzversiegelung: Moderne Windkraftanlagen verfügen über hochwertige Schutzbeschichtungen, die widerstandsfähig gegen Witterungseinflüsse sind. Ein permanenter Abtrag, der zu wirklich nennenswerten Feinstaubmengen führen würde, findet nicht statt.
  • Verschleiß der Rotorblätter: Die Rotorblätter von Windkraftanlagen bestehen aus glasfaserverstärktem Kunststoff und sind für eine lange Lebensdauer ausgelegt. Abrieb und Verschleiß sind minimal und tragen kaum zur Feinstaubbelastung bei.

Realwerte:

  • Laut sehr groben Schätzungen stoßen alle Windräder in Deutschland zusammen ca. 1.400 Tonnen Feinstaub pro Jahr aus. Bei 28.677 Windrädern (2023) ergibt sich hieraus ein Wert von ca. 49kg/Jahr pro Windrad.
  • Vergleich:
    Autoreifen stoßen ca. 102.000 Tonnen Feinstaub pro Jahr aus und von Schuhsohlen ca. 9.000 Tonnen. Das Heizen mit Holz hat einen Anteil von ca. 20% der deutschen Feinstaub-Emissionen.
Jährliche Feinstaub-Emissionen in Deutschland in Tonnen

Fazit:

Die Darstellung im Text, dass Windkraftanlagen zu einer immensen Feinstaubbelastung führen, ist falsch und irreführend. Die tatsächlichen Feinstaubemissionen sind um ein Vielfaches geringer und im Vergleich zu anderen Energiequellen vernachlässigbar.

Behauptung 2 - Windräder enthalten viel Bisphenol A und verursachen dadurch Krebs:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Dessen Mikro- und Nanopartikel enthalten unter anderem den stark krebserregenden Stoff Bisphenol A. Selbst bei geringen Mengen davon können Leber, Stoffwechsel, Immunsystem sowie die Entwicklung von Kindern schwer geschädigt werden."

Kurze Antwort:

Diese Behauptung ist eine starke Übertreibung. Die Giftigkeit von Bisphenol A (BPA) ist nur im flüssigen, nicht im ausgehärteten Zustand vorhanden. Die Mengen an Bisphenol A in Windrädern ist gering und ein Austritt des Stoffs äußerst unwahrscheinlich. Auch die gesundheitlichen Folgen werden dramatisiert.

Fakten:

Richtig ist, dass Bisphenol A in Epoxidharzen verwendet wird, die Rotorblätter von Windkraftanlagen verkleben und verstärken. Genau die als toxisch eingestuften Stoffe sorgen dafür, dass aus dem flüssigen Harz ein fester Stoff ohne Wasserlöslichkeit wird. Nach dem Aushärtungsprozess sind ist der Giftstoff jedoch nicht mehr relevant als Einzelmolekül vorhanden.

Epoxidharze sind vielseitig einsetzbare Materialien, die in zahlreichen Anwendungen und Produkten Verwendung finden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat in einem aktuellen Gutachten bestätigt, dass die Verwendung von Bisphenol A (BPA) in diesen Anwendungen keine Gesundheitsrisiken darstellt.

Die EFSA betont, dass die in aktuellen Anwendungen von Epoxidharzen freigesetzten BPA-Mengen sehr gering sind und deutlich unterhalb des Unbedenklichkeitsgrenzwerts für alle Altersgruppen liegen.

Die Freisetzung von Bisphenol A aus Rotorblättern ist unwahrscheinlich, es sei denn, die Blätter werden stark beschädigt oder brennen - was extrem selten vorkommt.
(Pro Jahr 5-10 Windrad-Brände bei  knapp 30.000 Windrädern Bundesweit)



Wo wird Bisphenol A verwendet?

BPA wird nicht nur bei Windrädern, sondern in sehr vielen, sehr alltäglichen Gegenständen verwendet. Das Bundesamt für Risikobewertung schreibt hierzu:

"Aufgrund dieser Eigenschaften findet es weite Anwendung im Baugewerbe und Fahrzeugbau, aber auch in Verbraucherprodukten wie DVDs oder Smartphones. Auch Lebensmittelkontaktmaterialien wie z. B. Trinkflaschen, Aufbewahrungsboxen oder Geschirr können aus Polycarbonat hergestellt werden. Epoxidharze werden ebenfalls vielfach eingesetzt, beispielsweise als Klebstoffe, Faserverbundkunststoffe, in Leiterplatten oder Lacken. Zudem werden sie als Innenbeschichtung von Getränke- und Konservendosen verwendet."

Krebsrisiko durch Bisphenol A:

Die Behauptung, dass Bisphenol A "stark krebserregend" sei, ist nicht durch wissenschaftliche Studien belegt.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die EFSA stufen Bisphenol A zwar als bedenklich ein, aber nicht als krebserregend.

Die vorliegenden Studien zeigen keine eindeutigen Zusammenhänge zwischen Bisphenol A-Exposition und Krebs beim Menschen.

Auswirkungen auf Gesundheit und Entwicklung:

Die Aussage, dass Bisphenol A "Leber, Stoffwechsel, Immunsystem sowie die Entwicklung von Kindern schwer schädigen" kann, ist eine starke Übertreibung.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Bisphenol A auf die Gesundheit sind widersprüchlich und nicht eindeutig.

Viele Informationen hierzu finden Sie auf der Themen-Seite des BfR:
https://www.bfr.bund.de/de/bisphenol_a_in_alltagsprodukten__antworten_auf_haeufig_gestellte_fragen-7195.html

Fazit:

Die Aussagen im Text über Bisphenol A in Windkraftanlagen sind teilweise falsch und stark übertrieben. Sie lassen wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse und Fakten außer Acht und zeichnen ein unzutreffendes Bild der Risiken und Vorteile der Windenergie.

Behauptung 3 - Mindestabstände für Windräder werden permanent reduziert, wodurch eine Gesundheitsgefahr entsteht:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Die permanente Reduzierung von Mindestabstandsgrenzen zu Wohngebieten setzt in Deutschland täglich Millionen Menschen einer Gesundheitsgefahr aus, die unkalkulierbar ist und bewusst ignoriert und verschwiegen wird."


Kurze Antwort:

Dass Mindestabstände "permanent reduziert" werden, ist eine willkürlich aus der Luft gegriffene Behauptung ohne Belege. Ein Gesundheitsrisiko von Windkraftanlagen für den Menschen wissenschaftlich ist nicht nachweisbar.

Fakten:

  • Reduzierung von Mindestabständen:
    Die Aussage, dass in Deutschland die Mindestabstände von Windkraftanlagen zu Wohngebieten "permanent reduziert" werden, ist willkürlich und falsch. Es wird schlicht nicht klar, worauf genau man sich hier bezieht.

    In Niedersachsen gilt die 2H-Regel, was ca. 400m entspricht.Im Konkreten Fall des Windparks St. Jürgensland beträgt der Abstand zum nächsten Wohnbebauung 800m. Der Abstand ist also doppelt so groß, wie mindestens erforderlich. Also kann man erst recht nicht davon sprechen, dass die Abstände "permanent reduziert" werden.
  • Gesundheitsgefahr:
    Die Behauptung, dass Windkraftanlagen in der Nähe von Wohngebieten eine "unkalkulierbare Gesundheitsgefahr" darstellen, ist nicht durch wissenschaftliche Studien belegt.

    Häufig bezog man sich dabei auf eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften zum Thema Infraschall aus dem Jahr 2005 - welche allerdings einen kapitalen, nachweisbarem Rechenfehler hatte, bei dem der Schalldruckpegel um den Faktor 1000 zu hoch angegeben wurde. Dieser Fehler der mittlerweile zum Glück offiziell korrigiert.

    Studien, die Auswirkungen von Infraschall auf die Gesundheit zeigen, verwenden dabei unrealistisch hohe Werte an tatsächlich hörbaren Infraschall. Diese unterscheiden sich stark von den realen, nicht mehr hörbaren Infraschall-Werten von existierenden Windrädern.

    Übrigens kann die Infraschall-Belastung beim Autofahren deutlich höher liegen, als durch ein Windrad.

    Eine ausführliche, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der (nicht vorhandenen) Gesundheitsgefahr durch Windräder finden Sie hier und hier.

    Wenn sich doch jemand in seiner Gesundheit durch ein Windrad geschädigt fühlt, dann liegt das eher am sogenannten Nocebo-Effekt. Analog zum Placebo-Effekt sorgt dieser dafür, dass alleine die Erwartungshaltung schon zu einer negativen Reaktion führt. Dafür kann allerdings das Windrad nichts.
  • Ignorieren und Verschweigen:
    Die Aussage, dass die Gesundheitsrisiken von Windkraftanlagen "bewusst ignoriert und verschwiegen" werden, ist eine polemische Behauptung ohne Grundlage. Zahlreiche, öffentlich einsehbare, wissenschaftliche Studien und Berichte befassen sich mit den potenziellen Auswirkungen von Windkraftanlagen auf die Gesundheit.

    Viel mehr ist es so, dass Windkraft-Gegner diese Studien, die ihr Narrativ widerlegen, bewusst verschweigen.

Populistische Stilmittel:

Die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen verwendet an dieser Stelle populistische Methoden, um die Leute zu emotionalisieren, Ängste zu schüren und zu manipulieren.

  • Übertreibung: 
    Die Aussage, dass Millionen Menschen einer "unkalkulierbaren Gesundheitsgefahr" ausgesetzt sind, ist eine starke Übertreibung und schürt unnötige Ängste.
  • Verschwörungsmythen:
    Die Behauptung, dass die Gesundheitsrisiken "bewusst ignoriert und verschwiegen" werden, ist eine Verallgemeinerung ohne Belege und diffamiert die Arbeit von Wissenschaftlern und Behörden. Es soll impliziert werden, dass geheime Mächte gegen den Willen des Volkes. Ein "Wir gegen Die da oben" soll aufgebaut werden.
  • Emotionale Sprache:
    Die Verwendung von Begriffen wie "unkalkulierbar" und "bewusst ignoriert" zielt darauf ab, Emotionen zu wecken und Angst zu erzeugen.

Fazit:

Der Text enthält falsche Aussagen und populistische Stilmittel. Er zeichnet ein unzutreffendes Bild der Abstandsregelungen und bedient sich wissenschaftlich widerlegter Behauptungen zu eventuellen Gesundheitsrisiken von Windkraftanlagen.

Behauptung 4 - Windräder führen zu Hitze, Flaute & Dürre:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Die Windenergie führt zur massiven Veränderung des Mikroklimas durch Anstieg der Temperaturen in der Umgebung der Windparks. Zudem laufen Groß-Studien (Metastudien) zur Frage, inwieweit eine zunehmende Zahl von Windrädern die bodennahe atmosphärische Zirkulation verändert und womöglich schwerwiegende Folgen auf Wetterereignisse (Dürren, Flauten) verschuldet. Die Auswirkungen der massenhaften Windräder auf die komplexen ökologischen Systeme sind noch nicht abzusehen."

Kurze Antwort:

Hier werden minimale Effekte deutlich übertrieben dargestellt, sowie Begriffe und Studienlagen falsch interpretiert. Der Einfluss von Windrädern auf das Mikroklima ist minimal. Ihr Nutzen im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel hingegen groß.

Auch hierbei bedient sich die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen als Quelle an dem für die Verbreitung von Fake News, Verschwörungstheorien und rechtsextremen Inhalten bekannten Fernsehsender "Auf1".

Vegetation gedeiht prächtig in der Nähe von Windrädern - Foto: Wirestock auf Freepik
Vegetation gedeiht prächtig in der Nähe von Windrädern - Foto: Wirestock auf Freepik

Fakten:

Die hier genannten Behauptungen stammen in der Regel von Klimaschutz-Feindlichen Lobby-Organisationen wie EIKE, welche dafür bekannt sind, Fake-News rund um den Klimawandel und Erneuerbare Energien zu verbreiten. Auch viele AfD-Politiker verbreiten diese Mythen.

Einen umfangreichen Artikel dazu finden Sie hier.

"Windräder beeinflussen das lokale Mikroklima. Das geschieht so: In der Atmosphäre sind die Luftschichten – vereinfacht formuliert – gestapelt. Kalte Luft sinkt ab, warme Luft steigt auf. Durch die Drehung der Rotorblätter der Windräder werden Luftschichten durchmischt. In einem SWR-Beitrag heißt es dazu: Nachts und morgens, wenn die Sonne nicht scheint, wirbelten Windräder die kalte Luft vom Boden nach oben und die warme zum Boden hin. Die Folge sind tatsächlich wärmere Temperaturen am Boden in unmittelbarer Nähe der Anlagen. Diesen Effekt kann sich die Landwirtschaft zu Nutze machen, um zum Beispiel Weinreben vor Frost zu schützen.

Dabei kann sogar genau der umgekehrte Effekt eintreten, sagt Dr. Martin Dörenkämper vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES). Aus bestimmten Wetterlagen könne auch kalte Luft in Bodennähe gewirbelt werden und damit zu sinkenden Temperaturen führen. Andere Studien an anderen Standorten zeigten sogar, dass der Boden durch die Umverteilung der Luftschichten absolut feuchter wird."
  • Bodenfeuchtigkeit vs. Dürre
    Ja, es konnte tatsächlich festgestellt werden, dass sich die Bodenfeuchtigkeit rund um ein Windrad herum verringert. In Deutschland handelt es sich um eine nicht nennenswerte Verringerung von ca. 1%, wobei es Unterschiede je nach Standort und Jahreszeit geben kann. Mit diesen Schwankungen können Ökosystem zurechtkommen.

    Hierbei von einer "Dürre" zu sprechen, ist maßlos übertrieben. Bei einer Dürre handelt es sich um eine großflächige und lang anhaltende Trockenheit - in der Regel durch zu geringen Niederschlag. Einen Zusammenhang zwischen Dürren und Windrädern konnte noch keine Studie feststellen.
  • Anstieg der Temperaturen
    Ja, Windräder haben Auswirkungen auf das Mikroklima in der unmittelbaren Umgebung. So wie alles andere Auch. Bäume, Straßen, Häuser...Der Einfluss von Windrädern beträgt dabei wenige Zehntel Grad Celsius. Im Vergleich zum menschengemachten Klimawandel ist dieser Effekt winzig. Groß hingegen ist der positive Effekt der Energiewende im Kampf gegen den Klimawandel.
  • "Bodennahe atmosphärische Zirkulation"
    Was genau mit "bodennaher atmosphärische Zirkulation" gemeint sein soll,  bleibt offen. Googelt man diesen Begriff, findet man nur 4 recht dubiose Treffer von Anti-Klimaschutz-Quellen, die scheinbar alle voneinander abgeschrieben haben. Hat man hier nur einen wichtig klingenden Begriff erfunden?

    Ja,  Windräder wälzen die Luftmassen durch. Das ist aber nicht zwangsläufig etwas Schlechtes.

    Um hier direkt Correctiv zu Zitieren, die sich dem in einem Faktencheck bereits angenommen haben:

  • "Großstudie" und "Metastudie":
    Die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen  spricht außerdem davon, dass aktuell "Großstudien (Metastudien)" laufen würden. Hieraus lässt sich ein sehr laienhaftes Wissenschafts-Verständnis ablesen.

    Der Begriff "Großstudie" ist nicht definiert. Es gibt keine offizielle Klassifizierung  je nach Umfang des Studiendesigns.

    Eine Meta-Studie gibt es in diesem Sinne auch nicht. Viel mehr spricht man von Meta-Analysen. Diese sind keine für sich stehenden Studien. Viel mehr werden hierbei die Ergebnisse vieler Einzel-Studien untersucht und zu einer übergreifenden Erkenntnis gebracht.

    Denn: Eine Studie ist keine Studie.

    Die Aussagekraft von einzelnen Studien können relativ nichtssagend sein. Deswegen ist es wichtig, dass ähnliche Studien zu einem Thema weltweit, unabhängig voneinander durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass die Ergebnisse reproduzierbar und somit belastbar sind.

    Meta-Analysen vergleichen nicht nur die Ergebnisse einzelner Studien, sondern werten auch deren handwerkliche Qualität. Hierbei werden Studien aussortiert, deren Studiendesign zu schlecht ist.

Ausführlichere Faktenchecks zu diesen Themen finden Sie hier:

Populistische Stilmittel:

Die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen verwendet an dieser Stelle erneut populistische Methoden, um die Leute zu emotionalisieren, Ängste zu schüren und zu manipulieren.

1. Verallgemeinerung und Emotionalisierung:

  • Die Aussage verwendet den Begriff "massenhaft Windräder", um ein Gefühl von Bedrohung und Angst zu erzeugen.
  • Sie spricht von "komplexen ökologischen Systemen", ohne diese näher zu definieren, was den Eindruck erweckt, dass die negativen Folgen unkalkulierbar und weitreichend sind.

2. Unvollständige und irreführende Darstellung:

  • Die Bürgerinitiative ignoriert die zahlreichen, deutlich differenzierteren Aussagen aus wissenschaftlichen Studien, die die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf die Umwelt untersucht haben.
  • Sie erwähnt nicht die positiven Auswirkungen von Windenergie, wie z. B. die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und den Schutz des Klimas.

3. Appell an Ängste und Vorurteile:

  • Die Aussage spielt auf die Unsicherheit der Menschen gegenüber neuen Technologien an und schürt Zweifel an der Sicherheit von Windkraftanlagen.
  • Sie bedient sich vager Formulierungen, sogenannte Weasel Words, um eigene Meinungen und Interessen als wissenschaftliche Tatsachen zu präsentieren.

Fazit:

Die Aussagen beruhen auf einer unvollständigen und ungenauen Darstellung der Fakten. Sie lassen erkennen, dass der Sprecher keine ausreichende Kenntnis über die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf die Umwelt hat.

Behauptung 5 - Windräder töten massenhaft Vögel, Insekten und Fledermäuse:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Ganz abgesehen davon bedeutet die Ausweitung der Windkraftanlagen auch noch das Todesurteil für Unmassen von Insekten, Vögeln und Flugsäugern – mit gravierenden Folgen für das ohnehin beschleunigte Artensterben. So sollen pro Jahr allein in Norddeutschland etwa 8.500 Mäusebussarde und 250.000 Fledermäuse den Rotoren der Windkraftanlagen zum Opfer fallen."


Kurze Antwort:

Die genaue Anzahl der verunglückten Tiere ist umstritten, da sie immer nur auf Schätzungen beruht. Es gibt weitaus größere Risikofaktoren für Vögel, wie Autos, Katzen oder Fensterscheiben. Letzlich sprechen sich auch Vogel-Schützer FÜR Windkraft aus, da die Bedrohung durch den Klimawandel um ein Vielfaches größer ist.

Übersichtsgrafik Zusammenleben von Windrad und Natur

Fakten:

  • Tote Vögel
    Ja, Windräder verursachen sogenannten Vogelschlag. Die genaue Anzahl der getöteten Vögel lässt sich dabei immer nur schätzen - und diese Schätzungen gehen weit auseinander.  So sind auch die 8.500 Mäusebussarde eine Schätzung. Die Zahl stammt von  der Autorin Johanna Romberg aus einem GEO-Interview. Sicherlich finden sich hierzu auch andere Schätzungen.

    Der NABU schätzt die Zahl der jährlich durch Windräder getöteten Vögel in Deutschland auf insgesamt bis zu 100.000.  Verteilt auf ca. 30.000 Windräder in Deutschland (stand 2023), macht das knapp 3 tote Vögel pro Windrad im Jahr - das sind die "Unmassen", von denen Bürgerinitiative spricht.

    Zum Vergleich: Der Nabu schätzt ebenfalls, dass jährlich über 100 Million Vögel durch Fensterscheiben sterben. 70 Millionen tote Vögel werden im Straßen- und Schienenverkehr geschätzt. Und Katzen seien laut NABU für bis zu 200 Millionen tote Vögel im Jahr verantwortlich.

    Diagramm Ursachen für tote Vögel
    Diagramm Ursachen für tote Vögel

    Johanna Romberg sagt im selben Interview übrigens auch, dass der Verlust von Lebensraum durch Energiepflanzen ein viel größeres Problem für Vögel sei:

    "Mittlerweile wächst auf 20 Prozent der deutschen Ackerfläche Mais. Das sind Flächen, die für Vögel und andere Tiere ökologisch so wertvoll sind wie ein Parkplatz."

    Sie sagt außerdem:

    "Atomkraft ist natürlich nicht die Lösung. Und natürlich können wir nicht auf Windenergie verzichten."

    Übrigens, auch der Landesbund für Vogel- und Naturschutz aus Bayern unterstützt ausdrücklich den Ausbau von Windenergie.

    Wichtig ist nur, dass man bei der Standort-Wahl sorgfältig vorgeht. Hierfür müssen individuelle und unabhängige Gutachten erstellt werden. Das ist beim Windpark im St. Jürgensland der Fall.

    Es gibt außerdem Untersuchungen (Vattenfall), die nahelegen, dass Vögel Windrädern deutlich besser ausweichen können, als oft dargestellt.

    Und: Die Entwicklung moderner Windkraftanlagen ist dahingehend, diese mit Kameras auszustatten, welche Vögel erkennen und sich automatisch abschalten, um eine Kollision zu vermeiden.

  • Insektensterben
    Hier gilt letztlich ähnliches, wie bei den Vögeln: Die genauen Zahlen lassen sich nur schätzen.

    Die starke Mehrheit der Insekten hält sich aber ohnehin bodennah, oder unterhalb der Rotorblätter auf.

    Für den Rückgang der Insektenpopulation sind allerdings noch viele weitere Faktoren viel maßgeblicher: Monokulturen auf den Feldern, Einsatz von Pestiziden, Urbanisierung & Bodenversiegelung, und selbstverständlich der menschengemachte Klimawandel.

Fazit:

Ja, durch Windräder sterben Flug-Tiere und Insekten. Leider. Die Darstellung der Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen ist allerdings extrem dramatisierend. Sie lässt dabei außer Acht, dass es andere, deutlich relevantere Bedrohungen für die Biodiversität gibt - und dass sich auch Tierschützer für Windkraft aussprechen, sofern die Standorteignung entsprechend geprüft wurde.

Behauptung 6 - Windräder verschlimmern durch Schwefeldioxid den Klimawandel:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Für die Anlagen benötigen die Energieerzeuger ein spezielles Gas namens Schwefel­hexafluorid, kurz SF6. Das aber ist das stärkste bisher bekannte Treibhausgas. Sein Einsatz könnte die Erderwärmung also zumindest kurzfristig weiter voran treiben, obwohl der Umstieg auf erneuerbare Energien eigentlich das Gegenteil bewirken soll. Laut der Europäischen Umweltagentur entspricht der jährliche Ausstoß des Gases in der EU dem CO2-Ausstoß von 1,3 Millionen zusätzlichen Autos auf Europas Straßen."

Kurze Antwort:

Die SF6-Emissionen stammen nicht aus Windkraftanlagen, sondern aus alten Schallschutzfenstern & Co. Der Vergleich mit den "1,3 Millionen Autos" ist bewusst irreführend. Und bereits 300 Windräder kompensieren mehr Klimagase, als die gesamten SF6-Emissionen ausmachen.

Fakten:

Schwefelhexafluorid (SF6) wird in kleinen Mengen in der Isolierung von Hochspannungskomponenten in Windkraftanlagen verwendet.

SF6 ist ein elektrisch isolierendes Gas mit hohen dielektrischen Eigenschaften. Es wird verwendet, um Kurzschlüsse und Überschläge in den Hochspannungskomponenten zu verhindern. 

Die Menge an SF6 in einer Windkraftanlage beträgt unter 3 kg. Und dieses Gas soll selbstverständlich auch im Windrad bleiben, schließlich erfüllt es dort eine wichtige Funktion. Entsprechend ist hier von keinen bis minimalen Emissionen auszugehen.

Der von der Bürgerinitiative genannte Vergleich mit den "1,3 Millionen zusätzlichen Autos" ist insofern bewusst irreführend platziert, da er implizieren soll, dass alleine Windräder hierfür verantwortlich wären.

Um an dieser Stelle den Faktencheck von Agar heute zu zitieren:

"Deutschland hat 2020 135 Tonnen SF6 emittiert. Es war damit für 55,3 Prozent der SF6-Emissionen der Europäischen Union verantwortlich. Allerdings ist der größte Posten SF6 aus Schallschutzfenstern, die bis 2007 verbaut wurden und jetzt nach und nach ersetzt werden. Ohne diese Emissionen aus Schallschutzfenstern liegt der Anteil Deutschlands an den europäischen SF6-Emissionen bei 14,6 Prozent."

Übrigens gibt es mittlerweile umweltverträglichere Alternativen, welche in Windrädern verwendet werden können. Siemens Gamesa will bis 2030 komplett auf SF6 verzichten.

Übrigens II: Bereits 300 Windräder verhindern mehr CO2-Äquivalente, als die gesamten SF3-Emissionen ausmachen.

Übrigens III: Es sind mal wieder vor allem Medien aus dem Rechten Spektrum wie die "Junge Freiheit", welche das Narrativ der "Klimaschädlichen Windräder durch SF6" verbreiten.

Fazit:

Hier werden Fake News aus der Rechten und klimaschutzfeindlichen Szene wiedergegeben, welche mit der Realität wenig zu tun haben.

Behauptung 7 - Windräderwerden beim Rückbau gesprengt und sind nicht recyclebar:

Auf dem Wikado Spielplatz in Rotterdam bekommen Windräder ein zweites Leben - Foto: Denis Guzzo
Auf dem Wikado Spielplatz in Rotterdam bekommen Windräder ein zweites Leben - Foto: Denis Guzzo

Auf dem Wikado Spielplatz in Rotterdam bekommen Windräder ein zweites Leben - Foto: Denis Guzzo

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Beim sogenannten Rückbau von Windrädern, welcher aus Kostengründen meist per Sprengung passiert, entstehen hochgiftige Bruchstücke und Staub, da die Rotorblätter aus hochgiftigem und krebserregendem Kunststoff-Verbundmaterial besteht, für das es keine Recyclingmethode gibt. Es ist Sondermüll, welcher im Boden vergraben wird."


Kurze Antwort:

Dass Windräder "meist" gesprengt werden, stimmt nicht. Dass es keine Recyclingmethoden für die Rotorblätter gäbe, ist gelogen.

Fakten:

Es gibt unterschiedliche Bauweisen für Windkraftanlagen. Vor allem Windräder aus Metallbauweise werden in der Regel manuell durch Demontage der einzelnen Komponenten zurückgebaut, wie hier zu sehen:

Aus Kunststoff-Verbundmaterial (nicht krebserregend, Faktencheck siehe oben) bestehen wenn überhaupt nur die Rotorblätter. Und diese werden bis auf sehr seltene Ausnahmen auch bei einer Sprengung vorab demontiert. Hier widerspricht sich die Bürgerinitiative auch selber: Sie behauptet, die Rotorblätter werden vergraben - wie soll das gehen, wenn sie gesprengt worden wären?

Der Turm selber besteht dann - wenn nicht aus Metall - aus Stahl-Beton, wie andere Gebäude auch. Dass eine Sprengung das Günstigste sei, kann man so nicht sagen. Die Behauptung unterschlägt den Aufwand für die anschließenden Aufräumarbeiten. 

Wie so eine Sprengung aussieht, und was für Alternativen es gibt, sehen Sie hier:

Recycling:

Dass es für die Rotorblätter keine Recycling-Methoden gäbe, ist schlicht und ergreifend gelogen. Ja, das Material ist nicht so leicht zu recyclen, wie Papier, aber es gibt definitiv Methoden. 

sonderabfall-wissen.de schreibt dazu:

"Da Windradflügel größtenteils aus einem Mix von Materialien (z. B. faserverstärkten Kunststoffen, Balsaholz, Kunststoffschaum) als Verbund bestehen, ist der derzeit gängige Entsorgungsweg die mechanische Zerkleinerung. Danach kann die Masse thermisch verwertet oder als Brennstoff und Sandsubstitut in der Zementindustrie genutzt werden. Ein weiterer Einsatzbereich von zu Granulat zerkleinerten Rotorblättern ist die Herstellung von kreislauffähigen Terrassendielen, die nach dem Ende ihrer Nutzungsdauer ebenso wieder recycelt und für andere Produkte wiederverwendet werden können."

Eine Firma, die sich auf das Recycling von solchen Verbundstoffen spezialisiert hat, kommt übrigens direkt aus Bremen: neocomp.

Vergraben im Boden:

Bei uns in Deutschland werden keine Rotorblätter im Boden vergraben. Die Deponierung von GFK ist bei uns seit 2005 komplett verboten. 

Es gibt Berichte hierzu vor allem aus den USA. Aber die USA sind nun mal nicht Deutschland/Europa. Von den vergrabenen Rotorblättern geht übrigens auch kein Umweltrisiko aus. Sie sind dort einfach nur gelagert - und können theoretisch zu einem späteren Zeitpunkt ausgegraben und recycelt werden.

Als Quelle für diese Behauptungen beruft sich die Bürgerinitiative übrigens auf "deutsche-wirtschafts-nachrichten.de", eine Seite, die erneut aus einem populistischen Spektrum stammt.

Netzpolitik.org schreibt hierzu:

"Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten sind der Kopp-Verlag für „irgendwas mit Wirtschaft“. Das Geschäftsmodell ist einfach erklärt: Möglichst hysterische Untergangsszenarieren an die Wand malen, damit unbedarfte Leserinnen und Leser auf allen Kanälen alle ihre Kontakte darauf hinweisen, die das wiederum anklicken (sollen) und damit wird dann mit wenig Aufwand viel Werbung verkauft. Je reißerischer, je mehr Weltuntergang und Verschwörungstheorie dabei ist, umso besser verkauft sich eine Geschichte."

Weitere Faktenchecks zu Thema Recycling von Windkraftanlagen:

Fazit:

Mit der Erzählung, dass Windräder brutal gesprengt werden und riesige, unverwertbare und wohl möglich giftige Müllberge generieren, sollen den Leuten vor allem Angst gemacht werden - dabei entspricht es einfach nicht der Wahrheit und es gibt für alles Lösungen.

Behauptung 8 - Windrad-Fundamente bleiben im Boden und versiegeln ihn dauerhaft:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Der Durchmesser des Fundaments ist abhängig von der Höhe der zu errichtenden Windenergieanlage. So können durchaus 1.000 Kubikmeter Beton für ein Fundament benötigt werden, was gleichbedeutend mit mehr als 125 Fahrmischern ist. Beim Rückbau von Windkrafträdern wird das Fundament nicht entfernt, sondern verbleibt im Boden. Experten schätzen, dass 2019 schon etwa 1.000 Hektar Boden durch Fundamente von Windkraftanlagen dauerhaft versiegt waren."


Kurze Antwort:

Der genaue Beton-Bedarf variiert. Die Bürgerinitiative nennt Werte, die sich nicht auf die tatsächlich geplanten Anlagen beziehen. Eine Entsiegelung des Bodens ist gesetzlich vorgeschrieben. Außerdem bedient sich die Bürgerinitiative erneut rechtspopulistischer Quellen.

Rückbau eines Windrad-Fundaments - Foto: IG Windkraft Österreich
Rückbau eines Windrad-Fundaments - Foto: IG Windkraft Österreich

Fakten:

  • Wie viel Beton wird benötigt?
    Bei den "1.000 Kubikmetern Beton" kopiert die Bürgerinitative 1:1 einen Satz von der Homepage einer Firma, welche sich auf den Bau von Windrad-Fundamenten spezialisiert hat. An der Zahl ist erstmal nichts auszusetzen, auch wenn es ebenfalls andere Angaben von 650m³, oder 1300m³ gibt.

    Hier lässt sich keine allgemeingültige Aussage zum Beton-Bedarf treffen. Teils werden explizit "bis zu"-Angaben gemacht. Selbstverständlich gibt es auch kleinere Windräder und man muss jeweils von Fall zu Fall sehen.

    Übrigens: Die durch den Bau anfallenden CO2-Emissionen kompensiert ein Windrad im Betrieb bereits nach einem Monat.

  • Die Fundamente werden nicht entfernt?
    Dass Windkraft-Fundamente nicht entfernt werden, stimmt nicht. Tatsächlich gibt es gesetzliche Vorschriften (§35 Baugesetzbuch), die zu einer Entsiegelung der Fläche verpflichten. Es gibt so gar eine eigene DIN-Norm für den Rückbau (DIN SPEC 4866).

    Wenn es zur seltenen Pfahlbauweise der Fundamente kommt, dann wird meistens nur eine Schichte von ein paar Metern des Fundaments entfernt. Oder aber, es handelt sich um Windräder, die vor 2004 gebaut wurden. Damals war die gesetzliche Regelung noch weniger spezifisch. Das Loch wird anschließend mit Erde aufgeschüttet, damit die Fläche wieder landwirtschaftlich nutzbar ist. Das Umweltbundesamt wertet dieses Vorgehen als angemessen.

    Der abgetragene Beton der Fundamente wird übrigens ebenfalls recycelt, beispielsweise als Aufschüttung im Straßenbau.
  • Experten & "1000 Hektar dauerhaft versiegelt"

    Die Bürgerinitiative schreibt außerdem, dass "Experten" schätzen würden, dass bereits 1000 Hektar durch Windradfundamente dauerhaft versiegelt seien. Wer diese "Experten" sein sollen, wird offen gelassen.

    Dabei handelt es sich erneut um ein sogenanntes Weasel Word. Man verwendet schwammige Formulierungen, um eine Pseudo-Authorität zu suggerieren.

    Die Aussage zu überprüfen, ist in diesem Fall gar nicht mal einfach. Die Klimaschutz-feindliche Lobby-Organisation "Vernunftkraft" stellt ebenfalls die Behauptung mit den 1000 Hektar auf, genau wie die rechtspopulistische Zeitung Epoch Times. Beide beziehen sich auf Aussagen des FDP-Politikers Gero Hocker in einem Focus-Artikel, welcher nicht ohne weiteres online zu finden ist. Dieser ist in der Vergangenheit selber durch Aussagen aufgefallen, die den menschengemachten Klimawandel infrage stellen.

    Von einem "Experten" kann hier also keinesfalls die Rede sein. Und wie gesagt, da die Entsiegelung vorgeschrieben ist, bleibt offen, wie man auf die 1000 Hektar kommt.

Fazit:

Es findet keine dauerhafte Versiegelung statt und erneut bedient sich die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen dubioser Quellen, die den Klimawandel leugnen, oder sogar aus dem rechten Spektrum stammen.

Behauptung 9 - Windräder benötigen viel Balsaholz und zerstören dafür den Regenwald:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Für die Rotorblätter wird überwiegend Balsaholz verwendet, das hauptsächlich aus Ecuador kommt. Für ein Rotorblatt zwischen 80 und 100 Metern Länge werden 150 Kubikmeter Holz benötigt, also mehrere Tonnen. Erneuerbare Energien sollen die Umwelt schonen, doch paradoxerweise leisten gerade Windkraftanlagen einen Beitrag zur Abholzung des Amazonas-Regenwaldes, wie die spanische Zeitung „El País“ schreibt."


Kurze Antwort:

Die angegebene Menge ist maßlos übertrieben. Balsaholz ist ein schnell nachwachsender Rohstoff, der in Europa nur aus FSC-zertifiziertem Anbau bezogen wird, welcher den Regenwald nicht gefährdet. Außerdem gibt es mittlerweile Holz-freie Windräder.

Modellflugzeug aus Balsaholz

Fakten:

  • Was ist Balsaholz?
    Balsaholz stammt vom Balsa-Baum. Viele kennen es bestimmt aus dem Modellbau. Das Holz hat den Vorteil, dass es sehr leicht ist und dass der Baum besonders schnell nachwächst.
  • Wie viel Holz wird benötigt?
    Für die Zahl, dass ein Windrad 150m³ Balsaholz benötigen würde, beruft sich „El País“ auf das United States National Renewable Energy Laboratory. An welcher stelle genau das NREL diese Zahl aufgestellt hat, bleibt unklar. Es lässt sich also nicht nachvollziehen, um welchen Kontext es geht, also um welche Bauweise und Größe, oder ob ein Rechenfehler seitens der Zeitung stattgefunden hat.

    Darauf geht der Bundesverband Windenergie in seinem Faktencheck ein uns sagt:
    "Während einige Medienberichte fälschlicherweise von 150m³ pro Rotorblatt ausgehen, sehen Rotorblattingenieur*innen 1/25 bis 1/30 dieser Menge, also 6 bzw. 5m³, als realistisch an. Der spanische Windverband geht davon aus, dass je nach Bauweise und bezogen auf das Endgewicht nur 1–3 Prozent eines Rotorblatts aus Balsaholz besteht."

    Da hier überprüfbare Quellen genannt werden, sind die Zahlen des Bundesverbands Windenergie als vertrauenswürdiger einzustufen.

  • Woher stammt das Holz?
    Tatsächlich ist Equador das wichtigste Ursprungsland für Balsaholz. 80-90% des weltweiten Bedarfs stammen von hier.

    Die europäischen Windrad-Hersteller beziehen das Balsaholz aber ausschließlich aus FSC-zertifiziertem Anbau. Daher ist es auch fragwürdig, warum der El País Artikel sich ausgerechnet an Europa und dem Green Deal abarbeitet.

    Das soll nicht abstreiten, dass illegales Abholzen von Balsaholz stattfindet. Die Verantwortlichen hierfür scheinen allerdings woanders zu liegen.
  • Welche Alternativen gibt es?
    Dass Windräder Balsaholz verwenden, ist keinesfalls unumstößlich. Der El País Artikel beschreibt selber, dass die dänische Firma LM WindPower bereits seit 2017 auf PET als Alternative setzt - welches zu 60% aus Recycling stammt. Seit dem sind viele Hersteller nachgezogen.

Fazit:

Hier werden falsche Zahlen zum Balsaholz verwendet. Rückschlüsse zu den im St. Jürgensland geplanten Windrädern lassen sich hier insgesamt nicht ziehen, also ist das Argument irrelevant.

Behauptung 10 - Wir zahlen für Stom, den es nicht gibt:

Auf ihrer Homepage schreibt die Bürgerinitiative Gegenwind St. Jürgen (Peter Storm):

"Der langsame Netzausbau in Deutschland verursacht immer höhere Kosten - etwa durch die Entschädigungszahlungen an die Stromerzeuger. So erhielten Energieversorger im vergangenen Jahr eine Rekordsumme von rund 807 Millionen Euro für Strom, der nicht ins Netz eingespeist werden konnte. Das berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) unter Berufung auf die Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) auf eine Anfrage der Linken.

Bei der Verteilung der Entschädigungszahlungen auf die Bundesländer liegen derweil Niedersachsen und Schleswig-Holstein weit vorne, da es hier besonders viele Windenergieanlagen gibt. Im Jahr 2021 gingen rund 45,4 Prozent der Zahlungen für nicht verbrauchten Strom nach Niedersachsen und 31,9 Prozent nach Schleswig-Holstein."


Kurze Antwort:

Die Bürgerinitative schreibt selbst: Schuld trägt der Netzausbau - und damit nicht die Stromerzeugung. Mit dem konkreten Windpark St. Jürgensland hat das Argument wenig zu tun und soll wieder nur verunsichern.

Fakten:

An dieser Stelle das Argument des "Geisterstroms" zu bringen, erscheint etwas verzweifelt, da es sehr un-zielgerichtet ist, anstatt eine konkrete Aussage zum geplanten Windpark St. Jürgensland zu treffen. Vermutlich versucht man einfach nur, die Energiewende insgesamt zu diskreditieren.

„Geisterstrom bezieht sich auf Strom, der in Windanlagen produziert werden könnte, aber nicht produziert wird – und zwar aufgrund von Netzüberlastungen und –engpässen. Dafür bekommen Windanlagenbetreiber eine Entschädigung. Ein solcher Vorgang ist im Wirtschaftskontext völlig normal. Wenn jemand eine Pizza bestellt, sie dann aber doch nicht isst, muss er sie trotzdem bezahlen. Dieselben die von Geisterstrom herumschwadronieren, fordern für Kohlekraftwerke gern Bereitstellungsprämien."
  • Was ist "Geisterstrom"?
    An dieser Stelle ein Zitat von Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung "Energie, Verkehr, Umwelt" am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung + Professorin Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance:
  • Was hat daran Schuld?
    Wie die Bürgerinitiative selber zitiert: Das Problem des "Geisterstroms" liegt allerdings nicht in einzelnen Windparks, sondern im Netzausbau. Und hier ist wiederum vor allem Bayern als Blockierer zu nennen, da hier immer wieder der Ausbau von Stromtrassen verzögert wurde.

    Es fehlt aber auch am Speicher-Ausbau, bei dem überschüssiger Strom beispielsweise in Wasserstoff umgewandelt wird und zu einem späteren Zeitpunkt während einer Flaute zurück in Strom umgewandelt werden kann. 

    Schuld daran haben aber auch Anti-Klimaschutz-Organisationen wie "Vernunftkraft" und EIKE, an denen sich auch die Bürgerinitative St. Jürgens orientiert. Sie streuen Fakenews und schüren unnötige Bedenken in der Bevölkerung, um den Ausbau der Erneuerbaren zu blockieren - inklusive Stromtrassen.

    Wer Fakenews verbreitet, sollte sich jetzt nicht über Entschädigungszahlungen beschweren.
  • Wie ist die Perspektive?
    Es ist relativ irrelevant für die Energiewende, sich an einem Status Quo zu orientieren. Wichtiger ist das Gesamt-Ziel. Wenn es also übergangsweise zu verschenktem Strom kommt, ist das ärgerlich, aber kein Dauer-Zustand.

    Früher oder später werden auch die Südlink-Trassen fertig sein und Speicherkapazitäten ausgebaut. Oder aber, es siedeln sich zunehmend Firmen in der Nähe von Windparks an, weil sie dort, ohne auf Trassen warten zu müssen, direkt an der Quelle den günstigen Strom abnehmen können.

    Das darf allerdings kein Grund sein, sich im Hier und Jetzt gegen einen Windpark zu entscheiden. Gebraucht wird der Strom so, oder so.

Fazit:

Ja, der Netzausbau ist ein Problem, welches sich aber perspektivisch löst. Was hat das mit dem Windpark bei Lilienthal zu tun? Nicht viel. Hiermit versucht man erneut nur die Leute zu verunsichern.

Hintergrund - Wer Steckt hinter der Bürgerinitative St. Jürgen?

Bürgerbewegungen, die sich gegen Windräder, oder gegen die Energiewende im Allgemeinen aussprechen, gibt es viele. Wie auf dieser Seite häufig belegt: Häufig beziehen sie ihre Falschinformationen aus dubiosen Quellen, die meist auch dem rechtspopulistischem Spektrum zuzuordnen sind.

Die prominentesten Quellen sind dabei:

  • "Vernunftkraft"
    Während der Name suggerieren soll, dass es sich hierbei um eine "vernünftig" denkende Gruppierung handelt. Es gibt viele Verbindungen von Vernunftkraft zu EIKE und vor allem der AfD - aber auch zur CDU zur FDP.
  • EIKE
    Das "Europäische Institut für Klima und Energie" nutzt den Umstand aus, dass "Institut" ein kompetent und seriös klingender Begriff ist - der allerdings nicht geschützt ist. Im Prinzip kann jeder ein Institiut gründen.

    EIKE ist in Europa eine der bekanntesten Anti-Klimaschutz-Organisationen. Sie wird letztlich von der noch bekannteren ,vermutlich größten Anti-Klimaschutz-Lobbyorganisation unterstützt: dem Heartland Institute. 

    Zusammen haben Sie z.B. Naomi Seibt gefördert, eine YouTuberin aus dem rechten Spektrum, welche in ihren Videos u.a. den Klimawandel leugnet.
  • AfD
    Auch die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte AfD ist tief vernetzt mit der Anti-Klimaschutz und Anti-Windkraft-Lobby. 

    Sie nutzt das Empörungs-Potential rund um Windräder, streut Fake-News und unterwandert Bürgerinitativen, um letztlich Zustimmung zu gewinnen.

So funktioniert Populismus

Alle diese 3 Organisationen - und auch die Bürgerinitative St. Jürgen - nutzen dabei fleißig alle Werkzeuge des Populismus.

  • Angst & Emotionalisierung
    Allen voran steht die Emotionalisierung der Debatte. Es geht nicht um Fakten, sondern um Gefühle. Vor allem um Angst. Beispielsweise mit übertriebenem Bildmaterial, aber auch sprachlich. So möchte die Bürgerinitative St. Jürgen Ängste vor (nicht vorhandenen) Gesundheitsrisiken wecken.

    Wer aus der Angst heraus agiert, agiert nicht mehr rational. Man wird empfänglich für Manipulation und Fronten werden verhärtet.
  • Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien
    Diese Seite zeigt eindrücklich, wie viele Falschbehauptungen verbreitet werden. Als Aufhänger dient dabei häufig eine Aussage, die ein Fünkchen Wahrheit hat, welche dann aber komplett aus dem Kontext gezogen wird. Dadurch soll ein Hauch von Legitimität vermittelt werden.

    Mit dieser Methodik arbeiten auch viele Verschwörungstheorien. Es soll suggeriert werden: Wenn A stimmt, dann Stimmen B, C und D auch.

    Übrigens bedient sich die Bürgerinitiative St. Jürgen, wie oben erwähnt, auch ganz direkter Verschwörungstheorien, indem sie behaupten, Gesundheitsrisiken würde man "bewusst ignoriert und verschwiegen".

    Ein wichtiges Werkzeug sind außerdem sogenannte Weasel Words, welche Andeutungen machen und im Vagen bleiben, aber eigentlich um den heißen Brei herumreden. Beispielsweise seien Dinge "nicht absehbar", es gäbe "Experten", die etwas behaupten - ohne diese Experten klar zu benennen.
  • Schein-Argumente wie Ad-Hominem, Strohmänner & Co.
    Ein weiteres Element des Populismus ist es, in der Debatte mit Schein-Argumenten abzulenken:
    • Ad-Hominem = Argumente, in denen es nicht um die Sache geht, sondern die gegen eine Person gerichtet sind, um bestimmte Aussagen grundsätzlich zu diskreditieren.
      Beispiel: "So lange du ein Smartphone aus China hast, hast du zu Klimaschutz gar nichts zu sagen."
    • Strohmänner = Es werden Dinge infrage gestellt, die überhaupt niemand behauptet hat.
    • Falsches Dilemma = Es wird so getan, als gäbe es in der Debatte nur 2 extreme Pole als Lösungsansatz, anstatt über das breite Spektrum in der Mitte zu sprechen.
    • Schweigende Mehrheit = Es wird behauptet, es gäbe angeblich ganz viele Leute, die ähnlich denken, die sich aber nur nicht trauen, etwas zu sagen. (Dem ist aber nicht so)
    • Motte-and-Bailey-Argument = Es wird etwas Polarisierendes behauptet. Stößt man dann auf zu viel Gegenwehr, rudert man zurück und sagt "SO war das doch gar nicht gemeint...".

Lassen Sie sich nicht manipulieren. Achten Sie bei Gesprächen über Windkraft darauf, ob jemand populistische Stilmittel anwendet.

Und vor allem: Lassen Sie sich keine Angst machen.

Abschließende Worte

Ist Peter Storm ein Rechtspopulist? Ist die Bürgerinitative St. Jürgens Teil der Anti-Klimaschutz-Lobby? Ob es sich um gezieltes Streuen von Falschinformationen handelt, oder ob man aus Naivität und fehlender Medienkompetenz auf dubiosen Seiten gelandet ist, soll an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden. 

Nicht jeder, der oder die sich gegen ein Windrad einsetzt, ist automatisch Nazi, oder Verschwörungstheoretiker. Oft sind es einfach nur NIMBYs ("Not in my Backyard"). Gut möglich, dass es den Leuten tatsächlich um Vogelschutz o.ä. geht. Sich ernsthaft um die Umwelt zu sorgen, ist absolut etwas Lobenswertes. Und ja, nicht alles an der Windkraft ist perfekt - aber perfekte Lösungen gibt es generell nicht.

Wichtig ist nur, dass man bei seiner Kritik nicht falsch abbiegt und sich von Leuten ausnutzen lässt, welche die Gesellschaft spalten wollen.